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iOS 14 und der Zwiespalt eines Werbetreibenden

Ein Blick auf das aktuelle Digital-Marketing-Dilemma für alle, die in letzter Zeit auf einen Cookie-Banner geklickt haben, ohne weiter darüber nachzudenken aber eigentlich mit Marketing zu tun haben.

Wir kennen sie alle und sind maßlos genervt von ihnen: die Cookie-Warnungen beim Betreten (fast) jeder Website. Ja, auch ich versuche meistens diesen unglaublich schwer zu findenden, meist transparenten Button (auf weißem Grund) zu klicken, auf dem am besten noch in einer sehr unauffälligen grauen Schriftart „alle ablehnen“ steht: „nee, nicht mit mir, meine Daten bekommt ihr nicht!“ – ich am Samstag beim Surfen und Auschecken eines Fahrradtrikots, habe ja zum Glück nicht schon mehrere! „Ich will echt nicht wissen, was ihr mit den Daten macht…“ 

Cut: ich am Montag, bei Zentralsüden, öffne Google Analytics, Facebook Ads Manager und wie sie alle heißen, um zu checken, wie unsere Kampagnen performed haben. Und hoffe, dass so viele Leute wie nur möglich den transparenten Button nicht gefunden haben oder einfach kapitulativ „alle akzeptieren“ drückten. Ja, das ist Teil unseres Jobs: digitale Kampagnen ausspielen – am besten so effektiv und gezielt wie möglich. Bzw. etwas romantischer ausgedrückt: den Leuten genau das zeigen, für das sie sich eh interessieren. Denn der Gedanke ist: Werbung wird’s immer geben, dann doch lieber etwas von Bedeutung für die Betrachter*innen, oder?  


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Werbung wird’s immer geben, dann doch lieber etwas von Bedeutung für die Betrachterinnen. Oder?

Ich will hier keinen „Performance Marketing“ Wikipedia-Artikel verfassen, aber gezielte Kampagnen-Ausspielungen arbeiten mit eurem Surfverhalten und euren Cookies: „alle akzeptieren“ gedrückt, werden gewisse Events (z.B. was ihr euch auf der Seite angesehen habt, ob ihr Produkte in den Warenkorb gelegt oder gekauft habt etc.) gespeichert. Und je nachdem, welche Pixel eingebunden sind an z.B. Facebook & Co. übermittelt – das nennt man Tracking. Anschließend werden euch Werbeanzeigen gezielt nochmal ausgespielt, das nennt man Retargeting. Innerhalb der sozialen Netzwerke läuft das natürlich ganz genauso: Beitrag geliked, Video Ad bis zum Ende angeschaut? Zack, Retargeting. Das ist genau der Grund, warum ich mir dann am Samstag doch nochmal ein Fahrradtrikot anschaue. Quasi mit den eigenen Waffen geschlagen, Respekt Junge!  

Doch jetzt kommt’s: in Zukunft wird es ungemütlich werden. Keine Angst, nur für mich und alle Werbetreibenden. Und zwar nicht weil mein zukunftsforschender Kollege Marius Hirschmann das prognostiziert hat, sondern weil Apple mit iOS 14 ein Tracking Opt-In für Apps einführt (nennt sich App Tracking Transparency Framework, kurz ATT). Bedeutet: jeder Nutzerin wird beim Start einer App gefragt, ob solch ein Tracking zugelassen werden soll. Generell sagt mein privates Ich zum ATT natürlich Daumen hoch. Aber mein geschäftliches Ich hat Angst wie wir nun Kampagnen messen, steuern und optimieren sollen.


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Im Detail bedeutet das, dass die o.g. Conversion Events bei Opt-Out (Nee, meine Daten bekommt ihr nicht) nur noch sehr eingeschränkt reportet werden. Retargeting wird also sehr viel komplizierter. Als eines der größten sozialen Ökosysteme hat Facebook erstmal so richtig gemotzt und dann darauf reagiert und ein „Aggregated Event Measurement“ entwickelt. Durch das „AEM“ kann selbst bei einem Opt-Out zwar eine ziemlich begrenzte Anzahl von Daten erfasst werden, aber so viel ist trotzdem sicher: es wird nicht wie vorher sein! Und das gilt übrigens nicht nur für Facebook & Instagram, sondern für alle Plattformen (Snapchat, TikTok… you name it).

Bedeutet: die Ära des fleißigen Daten-Erfassens ist vorbei und der ROAS wird sehr wahrscheinlich sinken (Return on Advertising Spend = sprich, erzielter Gewinn pro Werbeausgabe). Im Falle von Facebook und Instagram wird demnach nur noch eine ganz begrenzte Anzahl von möglichen Events trackbar sein. Um genau zu sein: nur noch ein einziges Event bei Opt-Out und acht bei Opt-In – pro Domain. Das heißt, als werbetreibende Marke/ Unternehmen muss man sich ganz genau überlegen, welche Events getrackt und reportet werden sollen. Plus, man muss diese Events auch noch priorisieren, denn nur das höchst priorisierte Event (z.B. Kauf oder In den Einkaufswagen) wird bei einem Opt-Out gemessen. Zudem werden Conversions (Anzeige gesehen und im Anschluss auch gekauft) nur noch sieben Tage nach Klick auf eine Anzeige gemessen, nicht mehr 28 Tage lang – die Conversion-Rate wird also auch noch sinken, der CPO (Cost per Order) steigen.


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„Dark Patterns, diese versteckten Auswahlmöglich-keiten, die Nutzer*innen dazu verleiten „alle annehmen“ zu drücken [..]“

Hinzu kommt noch, dass es in Zukunft diesen fast schon unauffindbaren „alle ablehnen“ Buttons so nicht mehr geben wird: Dark Patterns, diese versteckten Auswahlmöglichkeiten, die Nutzer*innen dazu verleiten „alle annehmen“ zu drücken, werden bald überholt sein. Denn die Rechtsprechung ist gerade dran, sogenannte Light Patterns gesetzlich vorzuschreiben. Light Patterns unterstützen die Usability durch gleichberechtigtes Design, sprich z.B. beide Cookie-Buttons in gleicher Farbe, Größe und Position. Der o.g. Opt-In Dialog bei iOS 14 macht es vor.

Und nun, was bedeutet das alles? Erstmal empfinde ich das Ganze als einen positiven Beitrag zum individuellen Datenschutz. Für Werbetreibende heißt das, jetzt zusätzlich zur DSGVO-Thematik die richtigen Vorkehrungen für digitales Marketing mit weniger Zielgenauigkeit in der Ausspielung zu treffen. Um diesen Nachteil auszugleichen glaube ich an die Kraft der Inhalte und Stories, die Marken erzählen können. Umso breiter die Zielgruppe, desto besser muss die Geschichte sein, die Content und Kampagnen vermitteln. Denn eine gute Geschichte bleibt im Kopf – ganz ohne Cookie. Jeweils ab Montag unterstützen ich und das Team bei Zentralsüden gerne dabei diese Geschichte zu entwickeln, zu produzieren und mit und ohne Cookies auszuspielen. Am Wochenende habe ich allerdings keine Zeit, da muss ich mein neu erworbenes Fahrradtrikot ausprobieren.